Abschlussrede Vandana Shiva

Abschlussrede des G8-Alternativgipfels am 7. Juni 2007

Kurz bevor ich hierher kam, reiste ich durch Teile Indiens. Wir hatten reiche Böden, als die Baumwoll-Kultivierung begann und Baumwolle der Welt zum Geschenk gemacht wurde, aber heute begehen die Bauern zu Tausenden Selbstmord.
Ich war dort, um Saatgut zu vertreiben, denn als ich letztes Jahr in die Gegend reiste,
wurde klar, dass einer der Gründe für die Verzweiflung der Bauern ist, dass Monsanto dafür gesorgt hat, dass sie keine Samen mehr übrig haben und die Bauern jedes Jahr wieder Saatgut der Marke GNBT zu hohen Kosten kaufen müssen. Natürlich glauben die Bauern, dass sie die Wahl haben, weil sie 20 verschiedene Markennamen bekommen; sie haben keine Ahnung, dass jede dieser 20 Firmen von Monsanto lizensiert ist. 95 Prozent der gentechnisch veränderten Saaten, die heute in der Welt verkauft werden, stammen von Monsanto.

Wurde nicht über eine Erhöhung der Entwicklungshilfen von 0,7 Prozent [des Bruttoinlandsproduktes, d. Übers.] gesprochen? Die aktuellen Hilfszahlungen betragen 15 Billionen. Allein durch ein Saatgutmonopol erwarten die Unternehmen Profite von einer Billion Dollar im Jahr, wenn jeder Bauer dazu gezwungen werden könnte, Saatgut zu kaufen – jedes Jahr für jede Saison. Dies kommt zusammen mit dem Freihandel der WTO, der Dumpingpreise bewirkt (die Baumwollpreise kollabierten auf ein Drittel dessen, was sie vor der Dekade betrugen auf Grund von US-Subventionen). Das tötet die westafrikanischen Bauern, es tötet die indischen Bauern, und es macht natürlich Kleidung sehr billig. Das ist die Art von Druck, durch den eine große Zahl von Menschen getötet wird: um den globalen Supermarkt am Laufen zu halten.

Und ich denke, die Situation der Bauern von Indien, die über Nacht in solcher Bedrängnis waren – vor zehn Jahren konnten sie für ihren Lebensunterhalt aufkommen, ihr Kinder ins College schicken. Die Hälfte der Leute, die heute im Silicon Valley sitzen waren Kinder von Bauern. Meine Mutter war eine Bäuerin und schickte mich auf die besten Schulen und Colleges in England. Heute kann ein Farmer nicht überleben.
Nicht in Europa, nicht in Amerika, nicht in Mexico, und dieses System, das Tausenden keine Möglichkeit zum Überleben lässt, ist das System, gegen das wir sind. 
Es ist das System, das die G8 geschaffen haben, es ist das System, das sie weiterhin beschützen werden.

Und das Herz dieses Systems ist die Privatierung, Ausbeutung, Verschmutzung und Zerstörung der Ressourcen dieses Planeten, auf die jeder ein Anrecht hat.

Wir haben einen sehr alten Text – er muss 2000 Jahre alt sein – der Isopanishad, und darin steht: „Ein selbstsüchtiger Mann, der die Ressourcen der Natur zur Befriedigung seiner stets wachsenden Bedürfnisse überbeansprucht, ist nichts als ein Dieb.“

Denn Ressourcen zu benutzen, die die eigenen Leute brauchen, resultiert in die Nutzung von Ressourcen, auf die andere ein Anrecht haben, inklusive zukünftiger Generationen.

Was wir sehen in den Regeln der WTO, den Regeln der Weltbank, den Regeln geformt durch die geheimen Diskussionen und Mittagessen und Dinnerabende der G8 sind Regeln des Diebstahls, und es ist dieser Diebstahl, den wir stoppen müssen.

Patente auf Saatgut und Patente auf Lebensformen wurden eingeführt durch das WTO-Abkommen auf geistiges Eigentum. Angela Merkel möchte das ausweiten, ein „TRIPS Plus“-Abkommen, ein strengeres Abkommen zum Schutz von geistigem Eigentum.

Was würde das bewirken?

Es tötet bereits unsere Bauern, es verwehrt bereits Millionen den Zugang zu Medizin.
Novartis versucht, die indischen Gesetze abzuschaffen, die uns erlauben, generische Medikamente für die Welt herzustellen.

Wir produzieren 70 Prozent der generischen Medikamente auf der Welt, auch für die Vereinigten Staaten.
Novartis wäre gerne der Monopolverkäufer für Krebsmedikamente – es ist ein bestimmtes Arzneimittel namens Glivec – und möchte das Recht, es in verschiedenen Formen zu verkaufen und es eine Erfindung nennen.

Und wir sagen: Das ist es nicht, ein altes Molekül einmal als Pille, dann als eine Kapsel, dann als ein Pulver, dann als eine Flüssigkeit zu verkaufen; das ist keine Innovation.

Man kann kein Monopol haben, das man noch ausweitet. Das neue Monopol begehrt Monopole auf erneuerbare Technologien, denn mit erneuerbaren Technologien werden riesige Summen Geld verdient werden.

Was noch schlimmer ist und was ich bekämpfe: Monsanto stiehlt die Gene für Dürreresistenz und Salzverträglichkeit die unser Saatgut hat damit sie sie patentieren können für die Folgen des Klimawandels.
Denn Klimawandel bedeutet mehr Dürren, mehr Überschwemmungen.  Haben sie bemerkt, dass gestern der Oman Überschwemmungen hatte, die Wüste hatte Überschwemmungen und Wirbelstürme.
Wir brauchen diese Artenvielfalt, um mit dem Klimawandel zurecht zu kommen.
Monsanto hätte gerne das Monopol über diese Vielfalt um Geld zu verdienen während Menschen durch den Klimawandel sterben.

Das Gleiche mit Wasser: Die größten Wasserunternehmen der Welt – Suez, Vivendi, Bechtel, RWE – möchten das Wasser der Welt privatisieren. Suez versucht, die Wasserversorgung von Delhi zu privatisieren.
Zwischen 2002 und 2005 haben wir eine Wasser-Demokratie-Bewegung aufgebaut. Als Paul Wolfowitz auf seine erste Reise nach Indien kam, haben wir – eine riesige Versammlung von Frauen, Gewerkschaften, alle zusammen arbeitend –  ihm gesagt: Unser Wasser ist nicht zu verkaufen, es ist keine Ware.
Dieses weltbankgesteuerte Projekt zur Wasserprivatisierung wurde abgelehnt durch die Mobilisierung der Bürger.

All diese Ressourcen sind Artenvielfalt, unser Saatgut, unser Wasser, unsere Luft sind Gemeingüter, die wir teilen, Gemeingüter, die wir schützen müssen.
Sie werden in das Eigentum der Konzerne gedrängt, was bedeutet, dass das Wasser, das wir trinken, die Saat, die wir säen, die Nahrung, die wir essen bei jedem Schritt Profite generiert für eine Hand voll Konzerne.

Die magische Zahl dabei ist irgendwie fünf. Fünf Wassergiganten, fünf Gen-Giganten, fünf Investmentgesellschaften; das magische Fünfer-Monopol.

Diese Gemeingüter müssen zurückgefordert werden. Ich glaube, das ist der wichtigste ökonomische Kampf, das ist die wichtigste Friedensfrage, das ist die wichtigste Nachhaltigkeitsfrage.

Die Luft, unser ultimatives Gemeingut, jeder Atemzug, der dich mit mir verbindet, der uns mit den Bäumen und Pflanzen und den Ozeanen verbindet, wurde bereits zweimal privatisiert. Sie wurde privatisiert als die Fossile-Brennstoff-Industrie, die Autoindustrie, die Airline-Industrie, die Agrarindustrie Treibhausgase pumpte ohne um Erlaubnis zu fragen.
Heute wurde sie privatisiert im Namen einer Klimalösung. Als wir uns beim Earth-Kongress in Rio trafen, war die Weltgemeinschaft alarmiert wegen des Klimawandels.
Den United Nations Rahmenbedingungen für die Klimakonvention wurde zugestimmt, und was hat es uns am Ende gebracht?
Ein paar Jahre Kohlendioxyd-Handel, Handel mit Verschmutzung, so dass der Verschmutzer bezahlt wird, belohnt wird. Schaut euch die Kohlendioxydmärkte an, die sie geschaffen haben.
Ich denke, wir müssen sehr innovativ, sehr schnell sein bei dem Klimaproblem, nicht nur, weil, wenn wir es nicht sind, die Konzerne gestärkt daraus hervorgehen, sondern wenn wir nicht kreativ sind und nicht organisiert, wird in 20, 30, 40 Jahren die menschliche Spezies nicht auf diesem Planeten überleben können.

Ich glaube wirklich, die Frage heute, die Frage der Solidarität, die Frage der Gerechtigkeit, die Frage der Nachhaltigkeit ist wie können wir Generationen in der Zukunft haben, denen wir die die wertvollen Ressourcen dieses Planeten übergeben können.
Und um das zu können, müssen wir die Regeln herausfordern, die die Mächtigen machen. Wir werden die Regeln für Patente herausfordern müssen.
Gandhi hat uns eine enorme Inspiration hinterlassen. Die Briten wollten das Salz monopolisieren, damit sie größere Kanonen kaufen können um die Inder zu erschießen.
Er ging zum Strand, hob das Salz auf und sagte: “Die Natur gibt es umsonst, wir brauchen es für unser Überleben, wir  werden damit fortfahren, unser Salz herzustellen.”
Er bezwang die Salzgesetze, aber hundert Jahre später – ich weiß nicht, wie vielen von euch bewusst ist, vor hundert Jahren am 11. September verweigerte Gandhi und andere in Südafrika, die Regeln der Apartheid zu befolgen.
Sie weigerten sich, Identitätsabzeichen zu tragen, die sie auf der Basis von Rasse kennzeichnen würden, sie sagten: “Wir sind eine normale Bürgerschaft“.
Das war der erste Satyagraha, wie sie es nannten, der Kampf für Wahrheit. Heute ist der Kampf für Wahrheit zum Kampf für die Zukunft des menschlichen Lebens auf der Erde geworden.

Seit den frühen 90ern, als Aktiengesellschaften dachten, sie hätten das Recht, das Leben auf diesem Planeten zu ihrem Eigentum zu erklären, und die G8-Institutionen für sie gemacht wurden, haben wir die Verpflichtung zu sagen: Wir werden niemals diese perversen Gesetze befolgen. Denn wir werden nicht erlauben, dass das Aufbewahren von Saatgut und das Teilen von Samen zum Verbrechen erklärt wird, das ist unsere Pflicht.
Wir werden nicht die Privatisierung von Wasser erlauben, wir werden es nicht in unserem Verstand erlauben, wir werden es nicht in unseren Gemeinschaften erlauben. Wasser ist eine gemeinsame Ressource, wir werden es beschützen und teilen.
Und letztlich die Luft, an die der Klimawandel gebunden ist: Wir können auf Arten leben, ohne die Atmosphäre mit unserer Verschmutzung zu überlasten. Unsere Nahrung muss nicht jeden Tag tausende von Meilen reisen.
Wir müssen nicht in langweiligen Jobs herumschwirren, zum anderen Ende des Planeten flüchten, wo die Dinge noch nicht zerstört wurden – um sie zu zerstören.
Ich arbeite gerade an dieser Verbindung zwischen Ackerbau und Klimawandel.
Die industrielle globalisierte Landwirtschaft ist ein riesiger Teil des Klimawandels.
Ökologische, lokale Nahrungssysteme sind eine Lösung für den Klimawandel, eine Lösung für die Agrarkrise und eine Lösung für die schlimme Lebensmittelseuche,  die sich über den Planeten verbreitet hat. Durch organische Landwirtschaft, die 50 Prozent mehr Kohlendioxid in die Böden bringt als chemische Landwirtschaft, und in diesem Prozess das Leben der Böden regeneriert.

Der Erdboden ist der ultimative, vergessene Teil  unseres Lebens. Wir müssen uns auf die Erde zurückbesinnen. Aber ich denke, das wichtigste Argument unserer Zeit ist, dass Konzerne und die G8 eine Wirtschaft der Einseitigkeit geschaffen haben, damit sie wachsen können. Was wir brauchen sind Ökonomien der Fülle, damit alles Leben wachsen kann. Und natürlich, um herauszufinden, wie man Mehr aus Wenig macht, braucht man Frauen und die Dritte Welt, die den Weg zeigen werden.
Das kapitalistische Patriarchat hat sich selbst Intelligenz vorgetäuscht, während es die dümmste Rezeptur geschaffen hat, zu der der menschliche Verstand in der Lage ist.
Können Sie sich vorstellen, Nahrung herzustellen, und dabei zehn Mal mehr Energie zu verbrauchen, als Sie könnten, und das Ganze effektiver zu nennen?
Das tut die industrielle Landwirtschaft! Wir könnten morgen chemische Dünger weglassen und hätten mehr Ernährungssicherheit auf dem Planeten. 
Wir könnten morgen gentechnisch veränderte Organismen weglassen und hätten mehr Artenvielfalt und Nahrungssicherheit auf dem Planeten. Und das sind die Fragen, die uns verbinden. Wenn wir an Wasser und Artenvielfalt und die Luft als unsere Gemeingüter denken, gibt es da keinen reichen Norden und keinen armen Süden, da ist ein reicher Süden und ein verarmter Norden. Und wir müssen uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass die natürlichen und sozialen Ökonomien des Südens verwüstet (….) wurden, dort werden die Lektionen gelernt werden müssen, wie man Nahrung ohne fossile Brennstoffe anbaut, wie man Gebäude baut, ohne die Berge zu plündern und wie man Mobilität erreicht, die nicht zu einem Fluch für den Planeten wird.
Und natürlich werden wir unsere Freiheit neu erfinden müssen, wie ich bereits erwähnt habe. Gandhi hat uns dieses unglaublich brillante System der wahren Verteidigung der Freiheit gegeben.

Wenn Gesetze gemacht werden, um den Menschen die Freiheit zu nehmen, ist der einzige Weg, um frei zu bleiben, diese Gesetze zu brechen.

Martin Luther King musste es tun, Gandhi musste  es tun, wir müssen es tun.  
Und je gewaltfreier wir es tun, je solidarischer wir es tun, je mehr Mitgefühl wir dabei zeigen, desto stärker werden wir sein, um diese Ökonomie von Diebstahl und Krankheit und Monopolen und Vernichtung umzustürzen und stattdessen Ökonomien und Demokratien zu errichten, die allen Land garantieren.
(…)
Wenn es uns nicht gelingt, unsere Landwirtschaft und unsere Nahrung von gentechnisch veränderten Organismen (GMOs) frei zu halten, werden wir niemals in der Lage sein, irgend eine andere Freiheit zu verteidigen. Wir werden unsere letzte Chance, unsere Freiheit zu verteidigen, verloren haben.
Und deswegen reise ich durch die Dörfer, wo gentechnisch veränderte Baumwolle inzwischen 90 Prozent der Baumwolle ausmacht, (…) wir werden es umkehren.
Samen um Samen, Hof um Hof, werden wir eine ökologische und artenreiche Landwirtschaft wieder aufbauen, die unseren Boden nährt und unsere Farmer ernährt und nicht diesen Genozid erzeugt, dessen Zeuge wir gerade sind.

Aber ihr seid auch herausgefordert. Die Firma Monsanto schaut sehnsüchtig nach dem europäischen Markt. Bisher habt ihr sie herausgehalten. Die Bürgerbewegung und die Aktivitäten der Regierungen für ein GMO-freies Europa muss stärker werden. Wir haben gerade ein Abkommen zwischen Regierungen und einer unabhängigen Kommission unterzeichnet, um dafür zu sorgen, dass Europa GMO frei bleibt.
Und neben mir steht ein Mann, der euch mehr sagen kann über den GMO-free-Marsch durch Deutschland, der im Juli stattfindet, und die Aktion gegen Gewalt zwischen dem 19. und 22. Juli in Berlin. 
Gandhi hätte daran teilgenommen. Lasst uns mit unseren Leben beginnen, last uns mit unserer Nahrung beginnen, lasst uns mit unserer alltäglichen Demokratie beginnen um unsere Demokratie zurückzufordern. Wenn wir es nicht tun, wird es auf diesem Planeten kein Leben geben. Wir haben nicht den Luxus, uns dem Totalitarismus zu unterwerfen. Wir müssen frei bleiben. Vielen Dank.

Transkription und Übersetzung Christine Heyduck

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